Der geneigte Sportfreund dürfte sich bei einem Blick ins Fernsehprogramm gleich zwei Mal wundern: Es gibt WM-Boxen auf Sat1 und einen deutschen Weltmeister den ich nicht kenne?
In der Tat ist Robert Stieglitz wohl nur wirklich Boxinteressierten bekannt – aber das kann sollte sich mit dem heutigen Kampf ändern. Stieglitz, urspünglich in der Sowjetunion geboren, hat einen beeindruckenden Rekord aufzuweisen: 40 Kämpfe, 38 Siege, 23 durch KO. Dabei besticht er vor allem durch seine Schnelligkeit, seine Technik und seinen Biss, einen wirklich Killerpunch hingegen hat er nicht – wohl auch ein Grund dafür, dass er nur sechs Kämpfe durch einen „echten“ Knockout gewonnen hat, ansonsten ging immer der Ringrichter dazwischen. Oder der Gegner gab erschöpft auf, wie der damalige WBO-Weltmeister Károly Balzsay. Seitdem hat Stieglitz nichts anbrennen lassen und seinen Titel zwei Mal souverän verteidigt: Gegen Rubén Eduardo Acosta gewann er durch TKO in Runde 5, gegen Eduard Gutknecht siegte er deutlich nach Punkten.
So viel also zum amtierenden Weltmeister, aber auch der Herausforderer hat einen genaueren Blick verdient: Enrique Andrade Ornelas hat von seinen 35 Kämpfen 29 gewonnen, davon 19 durch KO. Die sechs Niederlagen stechen natürlich ins Auge, aber man darf Ornelas nicht unterschätzen: Gegen Topstar Bernard Hopkins (49-5) ging er über die volle Distanz, gegen Marco Antonio Rubio (42-4) waren sich die Kampfrichter sogar uneinig. Zudem hat er zwei Kämpfe durch das Eingreifen des Ringarztes verloren – geschlagen war er in beiden noch nicht. Und das er zudem punchen kann hat er in seinem Aufbaukampf gegen Julius Fogle gezeigt, den er in Runde 4 auf die Bretter schickte.
Vor diesem Punch muss sich auch Stieglitz in Acht nehmen, wenn er heute Abend in den Ring kommt. Gegen Ornelas Bruder Librado Andrade musste er sich 2008 in einem IBF-Ausscheidungskampf geschlagen geben (TKO in Runde 8) und so seinen Weltmeisterschaftstraum um über ein Jahr verschieben. Jetzt hat er ihn sich erfüllt und will auch daran festhalten – und eventuell seine ganz persönliche Rechnung mit der Familie Andrade begleichen, wenn er heute in der Dresdner Freiberger Arena in Aktion tritt. Dennoch würde mich ein KO überraschen: Stieglitz hat nicht die nötige Power in den Fäusten und zudem muss er sich auf eine neue Ringecke einstellen. Sein langjähriger Trainer Torsten Schmitz, bislang freiberuflich für SES tätig, wurde inzwischen von Wilfried Sauerland verpflichtet. Das er am Samstag nicht in der Ecke steht, war aber erst am vergangenen Montag klar – mit Sicherheit also ein Unsicherheitsfaktor.
Das Stieglitz am Ende dennoch die Nase vorn hat, steht für mich aber ausser Frage, er ist schlichtweg der bessere Boxer und weiss um die Gefährlichkeit seines Gegners. Er wird sich daher nicht überumpeln lassen und nach Punkten gewinnen. Die entsprechende Wette kann man momentan bei Betfair zur tollen Quote von 1.8 anspielen und so noch ein wenig mehr Spannung in den Boxabend bringen!